Liebe Leserinnen und Leser von „Wie Clara ihre Farbe fand“,
in meiner Zeit als Erzieher sind mir besonders die Kinder in Erinnerung geblieben, die mehr Aufmerksamkeit brauchten als andere, die es schwer hatten. Ich habe geschrien, gemotzt, gemeckert und bestraft. Das war normal. In der Ausbildung hatte ich nicht gelernt, mit diesen Kindern umzugehen, und ich war oft überfordert. Erst nach meiner Zeit in der stationären Jugendhilfe habe ich ein stärkeres Bewusstsein entwickelt und angefangen, mein eigenes Verhalten zu überdenken.
Zurück im Kindergarten traf ich auf „Clara“ – natürlich ist Clara nicht ihr richtiger Name. Das soll aber zweitrangig sein. Jedenfalls hatte es Clara schwer, sie hatte Probleme beim Spracherwerb, und ihr Bewegungsdrang war kaum zu bremsen. Als ich damals die Gruppenleitung übernahm, war ihre Situation schon sehr eingefahren. Niemand wollte mit ihr spielen, und ich konnte es durchaus verstehen. Clara war oft wütend und gemein.
Sie war das Thema in der Gruppe. Alle sprachen über sie: Eltern, die sich beschwerten, Kolleg:innen, die nicht mehr weiterwussten, und natürlich Kinder, die wegen Clara Angst hatten, in den Kindergarten zu gehen. Clara war das Übel der Gruppe, dabei war sie ein Kind von gerade mal 4 Jahren.
Dieses Mal wollte ich nicht auf den Zug aufspringen und ihr die Schuld geben. Dieses Mal wollte ich verstehen und hinter die Fassade blicken.
Es war nicht populär, einem Kind aus der Gruppe mehr Aufmerksamkeit zu schenken, denn das galt als ungerecht. Aber das war mir egal. Clara brauchte mehr, und das zählte.
Ich beobachtete Clara und ihre Versuche, in Kontakt mit den anderen Kindern zu kommen. Es war traurig, zu sehen, wie schwer sie es hatte, wie überfordert sie war und wie viel Ablehnung sie erfuhr. Also fing ich an, Spielsituationen zu begleiten, mich einzubringen und Clara immer wieder zu bestärken. Doch so viel Aufmerksamkeit ich ihr auch schenkte, es war nie genug. Immer wenn ich keine Zeit für sie hatte, entstanden Konflikte. Es war frustrierend.
Eines Tages bekam Clara ein Geschenk, ausgerechnet von dem Mädchen, dass am meisten unter ihr gelitten hatte. Sie hatte zu Hause ein wunderschönes Bild für Clara gemalt. Claras Freude war einmalig!
Und ich? Ich wusste, was zu tun war. Ich hatte verstanden, dass die Aufmerksamkeit eines Erwachsenen niemals reichen würde. Dass die Situation sich nur verbessern würde, wenn die Kinder Clara eine neue Chance gaben. Clara musste integriert werden.
Damals habe ich lange nach einem Buch gesucht, einem Ansatzpunkt, um die Kinder zum Erzählen zu bringen und ihre Sicht der Dinge zu erfahren. Ich fand keines. So ist schließlich die Idee zu „Wie Clara ihre Farbe fand“ entstanden. Ich wollte ein Buch schreiben, das Verständnis erzeugt, das einen Perspektivwechsel ermöglicht. Ein Buch, das dazu einlädt, ins Gespräch zu kommen. Es sollte sowohl für die vielen Claras geschrieben sein als auch für die anderen Kinder im Kindergarten. Es sollte einen anderen Weg aufzeigen, eine andere Herangehensweise.
Natürlich ist mir bewusst, dass mein Buch nicht die Lösung aller Probleme darstellen kann. Dass die Verhaltensauffälligkeiten mancher Kinder viel tiefer liegen. Dennoch glaube ich fest daran, dass es vielen Kindern und Familien helfen kann.
Das würde ich mir wünschen.
Euer Stefan